Die verborgenen Kosten der Scham in Unternehmenskulturen – und wie wir sie überwinden
Ein Thema, dass wir uns schämen öffentlich zu machen?
In einer Zeit, in der Agilität, Innovation und Mitarbeiterbindung zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren zählen, übersehen wir oft einen mächtigen Saboteur, der im Verborgenen wirkt: Scham.
(Ja, ich weiß – nicht gerade das Thema, das man bei der nächsten Vorstandssitzung auf die Agenda setzt. "Punkt 3: Quartalszahlen. Punkt 4: Unsere kollektive Scham.")
Was die Wissenschaft über Scham sagt
Die Forschung definiert Scham als "schmerzhafte Emotion, die entsteht, wenn wir das Gefühl haben, best. Werten, Normen, Regeln oder Ansprüchen nicht gerecht geworden zu sein. Anders als flüchtige Gefühle wie Verlegenheit greift Scham tief in unser Selbstbild ein. Sie ist eine starke unangenehme Emotion, gekennzeichnet durch eine starke Selbstabwertung, Scham richtet sich gegen uns selbst.
Oder einfacher gesagt: Scham ist das Gefühl, wenn deine Präsentation abstürzt und du plötzlich überzeugt bist, nicht nur deine Folien, sondern dein gesamtes Berufsleben sei ein einziger Absturz. (Kennen wir nicht alle diesen Moment?)
Die unsichtbare Dynamik in fehlerfeindlichen Kulturen
In Unternehmenskulturen, in denen Fehler angeprangert werden, entwickelt sich unter der Oberfläche eine Dynamik, die weit mehr kostet als nur die offensichtlichen Folgen eines Fehlers. Scham wird zum stillen Begleiter und sie bringt Komplizen mit.
Der erste Komplize ist der Perfektionismus. Er tarnt sich geschickt als Professionalität und Qualitätsbewusstsein: "Wir müssen es beim ersten Mal richtig machen." "Fehler können wir uns nicht leisten." "Lieber dreimal prüfen als einmal scheitern."
Klingt nach hohen Standards, nicht wahr? Doch in Wahrheit entsteht ein Klima der Angst, in dem Mitarbeitende mehr Energie darauf verwenden, Fehler zu vermeiden, als Innovationen voranzutreiben. Die Meta-Analyse von Budiarto und Helmi zeigt eine starke negative Korrelation zwischen Scham und Selbstwert, was erklärt, warum schambasierte Kulturen so lähmend wirken können.
Der zweite Komplize ist die Prokrastination. Entscheidungen werden verzögert, Verantwortung wird gemieden, und Initiativen versanden im Meer der Absicherungen. Nicht aus Faulheit, sondern aus Selbstschutz. (Wer kennt es nicht: "Ich überarbeite den Entwurf noch einmal" ist oft nur der höfliche Cousin von "Ich habe Angst, dass es nicht gut genug ist".)
Die Forschung zeigt, dass Scham zwei gegensätzliche Reaktionen auslösen kann: Rückzug und Vermeidung oder Reparatur und Wiederherstellung der gefährdeten Identität. Es ist wie bei diesem einen Kollegen, der nach einem Fehler entweder zwei Wochen lang nicht mehr im Meeting auftaucht ODER plötzlich mit drei neuen Projektideen um die Ecke kommt.
Die versteckten Kosten für Ihr Unternehmen
Was diese Dynamik unter der Oberfläche tatsächlich kostet:
Produktivität: Wenn Mitarbeitende mehr Zeit mit Absichern als mit Gestalten verbringen, leidet die Effizienz. Interessanterweise zeigen Studien, dass Scham unter bestimmten Bedingungen tatsächlich die Aufgabenleistung verbessern kann – aber nur, wenn sie als Ansporn zur Verbesserung und nicht als lähmende Kraft wirkt. In fehlerfreundlichen Kulturen wird bis zu 30% mehr Produktivität freigesetzt.
Stellen Sie sich vor: 30% mehr Produktivität, nur weil Menschen nicht mehr jeden Morgen mit Schweißausbrüchen aufwachen, wenn sie an ihre To-Do-Liste denken!
Zukunftsorientierung: Innovation erfordert Mut zum Experiment und damit zum kalkulierten Risiko. In schambasierten Kulturen richtet sich der Blick jedoch eher zurück (Was könnte schiefgehen?) als nach vorn (Was könnte möglich sein?).
Das MIT Sloan Management Review bestätigt, dass Fehler und kritische Vorfälle als Lernchancen dienen und eine Kultur des Wachstums und der Innovation fördern können, wenn sie nicht mit Scham und Peinlichkeit verbunden sind.
Loyalität: Talente suchen heute nach Umgebungen, in denen sie wachsen können und Wachstum bedeutet auch, aus Fehlern lernen zu dürfen. Die besten Köpfe verlassen Unternehmen, in denen sie sich nicht authentisch zeigen können. (Übersetzung: "Ich kündige nicht wegen des Gehalts, ich kündige, weil ich es satt habe, jeden Tag eine Maske zu tragen.")
Innovation: Die bahnbrechendsten Ideen entstehen oft aus dem Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen. Doch genau diesen Mut unterdrückt eine Kultur, in der Fehler mit persönlichem Versagen gleichgesetzt werden. Die Forschung von Rebecca Schaumberg zeigt, dass die Angst vor Scham eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Bürokultur spielt und dass Manager diesem Gefühl mehr Aufmerksamkeit schenken sollten.
Der Weg zu einer vertrauensbasierten Kultur
Als Führungskraft, HR-Verantwortliche oder Unternehmer haben Sie die Möglichkeit, diese Dynamik zu durchbrechen. Die Wissenschaft bietet hier konkrete Ansätze:
Machen Sie Scham besprechbar. Psychology Today bestätigt: "Allein das Bewusstsein für diese Mechanismen kann ihre Macht brechen." Schaffen Sie Räume, in denen offen über Ängste und Unsicherheiten gesprochen werden kann. (Nein, damit ist nicht die Weihnachtsfeier oder das jährlich stattfindende Feedbackgespräch gemeint.)
Etablieren Sie eine neue Fehlerkultur. Fehler sind nicht nur unvermeidlich, sie sind notwendig für echtes Lernen. Das MIT Sloan Management Review empfiehlt, Fehler als notwendigen Teil des Lernens und der Innovation zu betrachten. Feiern Sie den Mut zum Risiko ebenso wie den Erfolg. Wie wäre es mit einem "Fehler des Monats"-Award für den mutigsten Versuch, der nicht geklappt hat, aber allen etwas beigebracht hat?
Und vor allem sprechen Sie mit Ihrem Team darüber, was sie daraus gelernt haben.
Fördern Sie professionelle Emotionalität. Emotionen gehören zum Menschsein, auch am Arbeitsplatz. Eine Kultur, die emotionale Intelligenz wertschätzt, schafft tieferes Vertrauen und stärkere Bindung. Studien zeigen, dass die Integration von emotionaler Intelligenz in die Arbeitskultur dazu beitragen kann, Scham zu reduzieren und Vertrauen aufzubauen.
Leben Sie Authentizität vor. Als Führungskraft sind Sie Vorbild. Zeigen Sie, dass Verletzlichkeit keine Schwäche ist, sondern Stärke – indem Sie auch eigene Unsicherheiten teilen. (Spoiler: Ihre Mitarbeitenden wissen ohnehin, dass Sie nicht perfekt sind. Die Frage ist nur, ob Sie es auch wissen.)
Der Gewinn: Eine Kultur der Exzellenz statt Perfektion
Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn in Ihrem Unternehmen...
Ideen geteilt würden, bevor sie "perfekt" sind
Entscheidungen mutig getroffen würden, ohne endlose Absicherungsschleifen
Teams sich mit ihren Stärken UND Entwicklungsfeldern zeigen könnten.
Fehler als wertvolle Datenquelle für Verbesserung gesehen würden.
Das Ergebnis wäre nicht nur messbar in Kennzahlen wie Produktivität und Innovation. Es würde sich auch zeigen in der Energie, mit der Menschen zur Arbeit kommen, in der Kreativität, die freigesetzt wird, und in der Loyalität, die entsteht, wenn Menschen sich wirklich gesehen und wertgeschätzt fühlen.
Der Weg dorthin beginnt mit einer einfachen Frage: Welchen ersten Schritt könnten Sie heute gehen, um in Ihrem Verantwortungsbereich eine Kultur zu fördern, in der die Angst vor Scham weniger Macht hat und Vertrauen wachsen kann?
(Und nein, "diesen Beitrag ignorieren und weitermachen wie bisher" zählt nicht als Antwort. 😉)
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Emotionale-Energetische Systemklärung
Quellen:
•MIT Sloan Management Review. (2023). Embrace Mistakes to Build a Learning Culture.
•Knowledge at Wharton. (2023). How Shame Helps Build Office Culture.
Sehr spannender Beitrag! Gerade weil Scham so Negative behaftet ist und oft unter der Oberfläche brodelt, ist er besonders schwer überhaupt aufgedeckt zu werden.
Danke für diesen tollen Beitrag! Ich werde bei mir selbst den "Fehler der Woche" einführen 😁